Sexualisierte Gewalt wird in einer patriarchalen Gesellschaft als Ausrutscher toleriert und damit verharmlost. © AL

Frauen verhindern Karriereschritt eines Stalkers

fs /  Ein Belästiger von Frauen sollte während seiner Bewährungszeit Karriere machen. Sein Fall zeigt, dass man Gewalt gegen Frauen nach wie vor bagatellisiert.

In der Schweiz wurde CVP-Politiker Yannick Buttet im Frühsommer zum Präsidenten der Tourismuskammer des Kantons Wallis gewählt. Dieser Karriereschritt sorgte für heftige Proteste von Frauen. Der Grund: Buttet war wegen Nötigung und sexueller Belästigung in zwei Fällen verurteilt worden. Er trat deshalb 2017 aus dem Nationalrat zurück und später als Präsident der Gemeinde Collombey-Muraz. Seine Bewährungszeit endet erst nächstes Jahr.

Schweigen
Zur Wahl vorgeschlagen hatte Buttet der 13-köpfige Vorstand der Tourismuskammer. In diesem Gremium ist eine einzige Frau. Bei der Wahl durch die Generalversammlung der Tourismuskammer waren laut dem «Walliser Boten» zwar einige Frauen anwesend. Trotzdem gab es keine kritischen Fragen, Gegenstimmen oder Enthaltungen. Tourismuskammer-Vizepräsident Luc Fellay sagte nach langem Schweigen im öffentlich-rechtlichen Sender RTS, Buttet sei verurteilt worden und habe für seine Taten gebüsst.

Erfolgreicher Widerstand
Als Präsident der Lobbyorganisation des Walliser Tourismus wäre Buttet von Amtes wegen Vorgesetzter eines seiner Opfer geworden. In einer Petition heisst es: «Es ist inakzeptabel, dass ein verurteilter Täter eine solch verantwortungsvolle Position einnimmt, insbesondere, wenn er dadurch indirekter Vorgesetzter einer betroffenen Person wird.» Es gehe jetzt darum, «ein klares Zeichen gegen sexuelle Belästigung und für den Schutz der Betroffenen zu setzen». Jeder habe eine zweite Chance verdient, sagen Kritikerinnen. Doch die Sicherheit von Frauen am Arbeitsplatz sei eine gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber. Und für das prestigeträchtige Amt gebe es auch andere geeignete Kandidaten. Die Kritik an der Wahl von Buttet wurde immer lauter, auch aus der Tourismusbranche. Schliesslich legte Buttet das Amt Ende Juli nieder.

Opfer wurde abgewählt
 #MeToo machte öffentlich, wie verbreitet sexualisierte Gewalt ist. In der Folge klagten Männer, Frauen würden mit erfundenen Geschichten ihre Karrieren ruinieren. Doch oft ist das Gegenteil der Fall. Nicht einmal zwei Verurteilungen und eine Bewährungszeit verhinderten, dass die Tourismuskammer Yannick Buttet zum Präsidenten wählte. Hingegen wurde eine der Frauen, die ihn anzeigte, als Präsidentin eines Gemeindeparlamentes abgewählt, wie die frühere Walliser Politikerin Danica Zurbriggen Lehner im «Tages-Anzeiger» berichtete.

Kein Einzelfall
Es ist kaum vorstellbar, dass eine verurteilte Frau während ihrer Bewährungszeit beruflich Karriere macht und Vorgesetzte ihres Opfers wird. Für einen Mann hingegen kann es möglich sein, ohne dass jemand fragt, ob dies opportun sei. Der Fall Buttet zeigt beispielhaft, dass in einer patriarchalen Gesellschaft sexualisierte Gewalt als Ausrutscher toleriert und damit verharmlost und normalisiert wird. Opfer nimmt man nicht ernst. Oft zahlen diese einen hohen Preis, wenn sie Männern Übergriffe vorwerfen. Einige Beispiele, die medial für Aufsehen sorgten:

In den USA hinderten Vorwürfe wegen sexuellen Fehlverhaltens Donald Trump nicht daran, Präsident zu werden. Er sei ein Star und habe deshalb nichts zu befürchten, sagte er zu seinem übergriffigen Verhalten. 
Missbrauchsvorwürfe waren kein Hindernis für Clarence Thomas und Brett Kavanaugh, als Richter ans oberste US-Gericht gewählt zu werden. Die Juristin Anita Hill, welche Clarence Thomas eines Übergriffs beschuldigte, verlor ihr Ansehen und eine Professur. Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, die Kavanaugh einen sexuellen Übergriff vorwarf, musste deshalb mehrmals ihren Wohnort wechseln.
US-Schauspieler Johnny Depp darf laut einem britischen Gericht als «Frauenschläger» bezeichnet werden. Seine Ex-Frau Amber Heard hatte ihm häusliche Gewalt vorgeworfen. Trotzdem dreht Depp weiter Filme und das Luxuslabel Dior schloss einen Werbevertrag über drei Jahre und 20 Millionen US-Dollar mit ihm ab. Amber Heard hingegen verlor nach einer gezielten Hasskampagne einen Verleumdungsprozess gegen ihn und musste ihren Wohnort verlassen. Von lukrativen Werbeverträgen oder Filmangeboten für die US-Schauspielerin ist nichts bekannt.

In Frankreich zeigten zwei Frauen letztes Jahr den Schauspieler Gérard Depardieu wegen Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt an. Weitere Frauen machten öffentlich, dass er sie sexuell belästigt hatte. In der französischen Kunstszene waren die Reaktionen gespalten. Einige solidarisierten sich mit Depardieu, andere kritisierten ihn scharf. Präsident Emmanuel Macron sprach von «Menschenjagd». Über die Opfer von Depardieu verlor er kein Wort.

In Deutschland warfen letzten Sommer mehrere Frauen Rammstein-Sänger Till Lindemann in den Medien sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vor. Der Anwalt von Lindemann bezichtigte sie rasch der Lüge und drohte mit rechtlichen Schritten. Ende des Jahres ging Lindemann wie geplant auf eine Solotour durch ausverkaufte Hallen. Und dieses Jahr ist er wieder mit Rammstein auf Tournee durch die Stadien. «Alles geht weiter – als wäre nichts gewesen», kommentierte der «Spiegel».

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