Bildschirmfoto 2023-10-08 um 15.53.01

Narges Mohammadi kämpft auch im Gefängnis für Frauenrechte. © France 24

«Wir Frauen werden nicht aufgeben»

fs /  Das iranische Regime kann Frauen einsperren und misshandeln, aber nicht zum Schweigen, schreibt Friedens-Nobelpreisträgerin Narges Mohammadi.

Die Aktivistin verbrachte mehr als die Hälfte ihres Lebens im Gefängnis, weil sie sich für Frauenrechte engagiert. Jetzt erhält die heute 51-Jährige den Friedens-Nobelpreis für «ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf zur Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle». Mohammadi wird den Preis nicht selber entgegennehmen können, da sie eine lange Haftstrafe im Evin-Gefängnis verbüsst. Dieses gilt im Iran als bekanntester und wegen Folter berüchtigter Kerker für politische Gefangene.

Botschaften aus dem Gefängnis
Trotzdem gelang es Mohammadi wiederholt, Botschaften aus dem Gefängnis schmuggeln zu lassen. Ende letzten Jahres beschrieb sie in einem von der BBC veröffentlichten Bericht, wie Frauen in der Haft sexuell und körperlich misshandelt werden. Zuletzt veröffentlichte die «New York Times» Mitte September einen Text von Mohammadi. Anlass war der erste Todestag von Masha Amini, die letztes Jahr im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei starb. Sie hatte angeblich das Kopftuch nicht richtig getragen. Ihr Tod hatte landesweite Proteste ausgelöst. 

Aufstand gegen das Regime
Mohammadi beschreibt in der «New York Times», was damals in der Frauenabteilung des Evin-Gefängnisses geschah. «Auf der Frauenstation waren wir voller Trauer – und Wut. Wir nutzten unsere kurzen Telefonate, um Informationen zu sammeln. Abends hielten wir Treffen ab, um die Neuigkeiten auszutauschen, die wir gehört hatten. Wir sassen drinnen fest, aber wir taten, was wir konnten, um unsere Stimme gegen das Regime zu erheben. Die Wut erreichte ihren Höhepunkt ein paar Wochen später, als am 15. Oktober 2022 ein Feuer einen Teil des Evin-Gefängnisses verwüstete. Wir riefen ‘Tod der Islamischen Republik’ inmitten der Schüsse der Sicherheitskräfte, Explosionen und Flammen.»

Übervolle Frauenabteilungen in Gefängnissen
Nach dem Tod von Amini wurden landesweit Tausende Menschen festgenommen, die an Demonstrationen teilnahmen. Als der erste Todestag von Amini im September näher rückte, seien die iranischen Führer wieder mit grosser Härte gegen Andersdenkende vorgegangen, schreibt Mohammadi. «Ich war seit 2012 wegen meiner Arbeit als Menschenrechtsverteidigerin dreimal in Evin inhaftiert, habe aber noch nie so viele Neuaufnahmen auf der dortigen Frauenstation gesehen wie in den letzten fünf Monaten.» Aus ihrem Freundeskries habe sie erfahren, dass die Frauenabteilungen auch in anderen Gefängnissen übervoll wurden. «Die Regierung versteht möglicherweise nicht, ist, dass wir umso stärker werden, je mehr von uns eingesperrt werden. Die Moral unter den neuen Gefangenen ist hoch. Einige sprachen mit seltsamer Leichtigkeit darüber, ihr Testament verfasst zu haben, bevor sie auf die Strasse gingen, um Veränderungen zu fordern. Sie alle, egal unter welchem Vorwand sie verhaftet wurden, hatten eine Forderung: Sturz des Regimes der Islamischen Republik.»

«Sie versuchen, uns zum Schweigen zu bringen»
Mohammadi schreibt, sie sei in den letzten Monaten vielen sexuell missbrauchten und brutal geschlagenen weiblichen Gefangene begegnet. «Trotzdem erheben wir weiterhin unsere Stimme. Wir haben Erklärungen abgegeben und Versammlungen und Sitzstreiks abgehalten, nachdem wir Nachrichten über Massendemonstrationen, Strassenmorde und Hinrichtungen erhalten hatten. Die Sicherheits- und Justizbehörden haben versucht, uns einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, indem sie unsere Telefongespräche und wöchentlichen Treffen mit der Familie abbrachen oder neue Gerichtsverfahren gegen uns anstrengten. Wegen meiner Menschenrechtsaktivitäten im Gefängnis haben sie in den letzten sieben Monaten sechs neue Strafverfahren gegen mich eröffnet. Meine Haftstrafe, die bei zehn Jahren und neun Monaten lag, wurde um zwei Jahre und drei Monate verlängert.»

«Junge Frauen sind enorm mutig»
Sie habe vor 32 Jahren als Studentin begonnen, gegen die religiöse Tyrannei und die damit einhergehende systematische Unterdrückung der Frauen zu kämpfen, schreibt Mohammadi. «Das ist immer noch mein Ziel. Wenn ich jetzt den leidenschaftlichen Einsatz junger Frauen und Mädchen während dieser revolutionären Bewegung sehe, habe ich das Gefühl, dass die Verwirklichung meiner feministischen Träume und Ziele näher rückt. Frauen traten als Vorhut dieses Aufstands hervor und zeigten enormen Mut und Widerstand, selbst angesichts der zunehmenden Feindseligkeit und Aggression seitens des religiös-autoritären Regimes.»

«Unser Kampf geht weiter»
Das Regime fördere eine Kultur der Gewalt gegen Frauen, schreibt Mohammadi. «Allerdings wird es nicht in der Lage sein, sie einzuschüchtern oder zurückzuhalten. Frauen werden nicht aufgeben. Wir werden von einem Überlebenswillen angetrieben, egal ob wir im Gefängnis oder draussen sind. Die gewaltsame und brutale Unterdrückung durch die Regierung mag manchmal Menschen von der Strasse abhalten, aber unser Kampf wird bis zu dem Tag weitergehen, an dem das Licht die Dunkelheit übernimmt und die Sonne der Freiheit das iranische Volk umarmt.»

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

IBAN: CH 0309000000604575581