«Das Patriarchat reisst an den Grenzen Familien auseinander»

fs /  Die Bilder an den ukrainischen Grenzen zeigen: Patriarchale Strukturen schaden auch den Männern. Und sie führen immer wieder zu Gewalt, sagt eine Expertin.

Ukrainer haben keine Wahl: Sie müssen im Land bleiben, um es zu verteidigen. Ukrainerinnen hingegen dürfen das Land verlassen. Für die feministische Politologin Kristina Lunz zeigt dies überdeutlich, dass patriarchale Rollenbilder Frauen und Männern schaden, sagte sie dem Portal «t-online». «Da dürfen Männer nicht fliehen, weil wir denken, dass sie irgendwie mächtig wären und kämpfen müssten. Das ist so irre. Das Patriarchat reisst an den Grenzen Familien auseinander, weil es bestimmte Rollenvorstellungen für Menschen hat – allein aufgrund ihres biologischen Geschlechts.» 

Patriarchale Sicherheitspolitik 
Lunz ist Mitgründerin des «Centre for Feminist Foreign Policy» und im deutschsprachigen Raum eine der wichtigsten Expertinnen für feministische Aussenpolitik. Die Ursachen für den Ukraine-Krieg sieht sie in einer Sicherheitspolitik, die nach patriarchalen Prinzipien funktioniert. Prioritär seien Stärke und Aufrüstung. Das Völkerrecht und Abrüstungsbestrebungen gelten als weniger wichtig. Eine solche Politik führe immer wieder zu Gewalt, sagt Lunz. Deshalb brauche es einen Wechsel zu feministischer Aussenpolitik. 

Gleichberechtigung statt Aufrüstung
Feministische Sicherheitspolitik will einen Paradigmenwechsel weg von nationalem und militärischem Denken. Ihr Ziel ist die Sicherheit der Zivilbevölkerung und nicht die Sicherheit von Grenzen. Eine gewaltlose und stabile Situation soll nicht durch Aufrüstung erreicht werden, sondern durch gleiche Rechte für alle und gleichen Zugang für alle zu Ressourcen und Entscheidungsprozessen. 

Für nachhaltigen Frieden müssen Frauen mitverhandeln
Davon ist die Politik weit entfernt, wie die Verhandlungsdelegationen im Ukrainekrieg deutlich zeigen. Weder in der russischen noch der ukrainischen Delegation war bisher eine Frau. Keine Ausnahme, wie Lunz sagt: «Zwischen 1992 und 2019 lag der Frauenanteil bei Friedensprozessen bei durchschnittlich nur 13 Prozent bei den Verhandelnden, bei sechs Prozent bei den Mediatorinnen und bei sechs Prozent bei den Unterzeichnenden. Die Hälfte der Friedensprozesse fanden sogar ganz ohne weibliche Beteiligung statt.» Frauen seien nicht friedfertiger als Männer, wie die patriarchale Gesellschaft suggeriere, sagt Lunz. Doch es sei wichtig, dass sie an internationalen Verhandlungen präsent sind. Je vielfältiger Verhandlungsteams sind, desto besser die Ergebnisse. «Wir können Gesellschaften nur dann stabil aufbauen, wenn die Lebensrealitäten aller Menschen beachtet werden.»

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