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Der frauenfeindliche Ton gegenüber Jacinda Ardern verstärkte sich im Laufe ihrer Amtszeit. © bbc

«Ding dong – die Hexe ist weg»

fs /  Frauenfeindlichkeit ist akzeptabel geworden. Sie macht schwierige Jobs für Frauen noch schwieriger, wie das Beispiel von Jacinda Ardern zeigt.

Wenige Stunden nach der überraschenden Rücktrittserklärung der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern versammelte sich vor Ort eine kleine Menschenmenge. «Ding dong – die Hexe ist weg», stand auf einem Plakat. Auf Facebook jubelte die religiös-reaktionäre «Freedom & Rights Coalition»: «Wir haben es geschafft!». Die Kommentare unter diesem Post seien nicht zitierfähig, schrieb der «New Zealand Herald».

Frauenhass macht schwierigen Job noch schwieriger
Ardern begründete ihren Rücktritt damit, dass sie «nicht genug im Tank» habe. Von frauenfeindlichen Attacken sagte sie nichts. Für einen Rückzug aus der Politik gibt es meist mehrere Gründe. Mit Kritik und Drohungen müssen alle in der Politik umgehen können. Doch bei Ardern kam ein frauenfeindlicher Ton hinzu, der sich im Laufe ihrer Amtszeit verstärkte. Dies habe einen schwierigen Job noch schwieriger gemacht und bei ihrem Rücktritt wohl auch eine Rolle gespielt, schrieb Suze Wilson von der neuseeländischen Massey University in einem Artikel für das Wissenschafts-Portal «The Conversation». Die Fachfrau für Personalmanagement meint, dass der Frauenhass Ardern habe treffen müssen: «Leute drohen, sie zu hängen, ihrem Kind etwas anzutun und verbreiten Gerüchte über ihren Partner. All das fordert seinen Tribut. Sie ist schliesslich ein Mensch.»

Frauenhass ist normal geworden
Historikerin Kate Hannah vom neuseeländischen Forschungszentrum «Te Pūnaha Matatini» untersucht mit einem fachübergreifenden Team im Rahmen des «Desinformation-Projekts» Hassreden und Desinformation im Internet. «Seit 2020 hat unser Team eine wesentliche Veränderung in der Sprache und der Bildsprache festgestellt, die verwendet werden, um Frauen im öffentlichen Leben in Neuseeland, insbesondere Ardern, anzugreifen und zu belästigen», schrieb Hannah in einem Kommentar für die Plattform «Context». Visuell sei Ardern am häufigsten als Hexe dargestellt worden. Inhaltlich sei sie oft als Frau und Mutter bedroht und belästigt worden. Der Frauenhass habe sich von der weitgehend unregulierten Plattform Telegramm auf etablierte Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn ausgebreitet und damit normalisiert. Auch Offline habe Frauenfeindlichkeit beispielsweise auf Demonstrationen deutlich zugenommen. «Dieser Frauenhass ist jetzt so normal, dass es sehr schwer wird, ihn wieder los zu werden.»

«Dieser Frauenhass ist nicht zum Lachen»
Kate Hannah informierte Ardern und andere Abgeordnete Ende letzten Jahres über die besorgniserregende Zunahme der Frauenfeindlichkeit. Ardern habe wie viele Betroffene reagiert, sagte Hannah dem «New Zealand Herald». Sie habe gelacht und gesagt, dass der Job wichtiger sei. Doch dieser erbitterte Frauenhass sei nicht zum Lachen, sagt Hannah. Er sei weltweit auf dem Vormarsch und betreffe alle Frauen: «Die internationale Desinformations-, rechtsextreme, Pro-Putin-Community ist unglaublich frauenfeindlich.» Die Zunahme des Frauenhasses habe die neuseeländische Gesellschaft «unwiderruflich» verändert. «Die normal gewordene Frauenfeindlichkeit ist Ausdruck einer Kultur, welche die Teilhabe von Frauen im öffentlichen Raum einschränken will.» Kelvin Davis, stellvertretender Parteichef der neuseeländischen «Labour Party» forderte nach dem Rücktritt von Ardern die Männer auf, endlich aufzustehen und Frauenhass klar zu verurteilen.  

Frauen zum Schweigen bringen
Frauenhass ist kein individuelles Problem, wie Kate Manne in ihrem Standardwerk über die Logik der Misogynie schreibt. Frauenverachtung dient laut der feministischen Philosophin dazu, patriarchale Strukturen aufrecht zu erhalten und Frauen zum Schweigen zu bringen. 

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